Aldingen mag durch die Alamannen von Alamunds Sippe gegründet worden sein. Doch ganz ohne Zweifel prägte die Familie der Kaltentaler den Ort wie keine andere zuvor oder danach. Wer aber waren sie, die Kaltentaler, deren verschiedenen Linien in Aldingen - aber nicht nur dort - die lokale Herrschaft ausübten?
Ihre Heimat war die längst verschwundene Burg Kaltental im heutigen Stuttgarter Süden. Nur der Name des Stuttgarter Stadtteils Kaltental erinnert noch an die ursprüngliche Heimat der späteren Aldinger Ortsherren. 1278 erhielten die Kaltentaler dann Aldingen mit Kirche und allem drum und dran als Lehen und zogen dorthin. Wir befinden uns also im tiefsten Mittelalter - das heißt dem Teil des Mittelalters, der von Fachleuten als Hochmittelalter bezeichnet wird. Adlige im Mittelalter? Man ahnt es schon... die Kaltentaler jener Tage waren echte Ritter. Stolze mutige Recken, die hoch zu Ross tapfer in den Kampf zogen. Man darf hier ruhig dem Klischee glauben schenken: Schwerter und Lanzen waren ihr Metier.
Allerdings - und hier stimmt das Klischee nicht mehr - war nicht jeder der damals schwer gepanzert und hoch zu Ross in den Kampf zog ein Ritter. Zur Ritterschaft gehörten große Privilegien aber auch Pflichten. Daher war die Ritterschaft gerade für Niederadlige gar nicht so erstrebenswert, sie blieben sogenannte Edelknechte, was aber aus unserer modernen Sicht kaum von unserem Ritterklischee zu unterscheiden ist. Auch unter den Kaltentalern fand man im Laufe der Zeit solche Edelknechte aber auch echte Ritter. Einer davon war Burggraf Walter von Kaltental. In zeitgenössischen Dokumenten wird er tatsächlich "equites" genannt - also Ritter. Er war auch der erste unter den Kaltentalern, der mit Aldingen belehnt wurde.
Bekannt wurde der tapfere Burggraf dafür seine Burg Kaltental gegen eine feindliche Armee aus Esslingen verteidigt zu haben. Walter hielt stand bis ihm schließlich eine württembergische Armee zu
Hilfe kam und die Esslinger vertrieb. Ja, die Grenzen damals waren deutlich enger als heute.
Nachdem sich die große Zeit der Ritter mit dem Mittelalter dem Ende zuneigte, blieben die Kaltentaler, wie viele ihres Standes, dem alten Beruf treu: Man findet zahlreiche von ihnen in den
Offizierslisten von Württemberg und anderen Fürstentümern der Zeit. Die Kaltentaler waren also zu allen Zeiten "Kriegshandwerker", selbst jene, die man eigentlich für andere Leistungen kennt. So
führte Heinrich von Kaltental 1568 zusammen mit seinem Bruder Reinhard in Aldingen die Reformation ein, verhandelte aber zugleich mit seinem streitlustigen und sturen Vetter Philipp Wolf von
Kaltental um eine Ortsverfassung, die für die kommenden Generationen ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Protestanten und Katholiken in Aldingen ermöglichte. Zudem war es Heinrich, der 1580
Schloss Aldingen als Sitz der evangelischen Linie der Kaltentaler errichten ließ. In der leider nicht mehr erhaltenen Inschrift unter seinem Epitaph in der Margaretenkirche ist von all dem aber
gar nicht die Rede. Dort hieß es vielmehr, er habe "in seinen jungen Jahren viel Kriegsgefahr außgestanden, alß in Italien, Frankreich, Ungarn und Niederland." Immerhin kam er lebend heim nach
Aldingen. Das kann nicht jeder aus seiner Verwandtschaft behaupten.
So findet man einen Kaltentaler auch bei einer der bekanntesten Episoden des Deutschen Bauernkrieges: Bei der Verteidigung der Festung Weinsberg am Ostersonntag des Jahres 1525. Im Kampf gegen
die aufständischen Bauern wurde der tapfere Georg der Jüngere (genannt Jörg) am Kopf verletzt. Das alleine wäre nicht so schlimm, Ritter brauchten ihren Kopf ja schließlich hauptsächlich damit
der Helm nicht so hohl klingt. Sollte man meinen. Doch so geriet Georg in Gefangenschaft der Bauern. Deren Anführer Jäcklein Rohrbach - der sogenannte "Hauptmann der Bauern im Neckartal" - ließ
entgegen dem Rat zahlreicher anderer Bauernführer alle gefangenen Adligen mit einer nie gekannten Grausamkeit hinrichten - darunter auch den Kaltentaler Jörg.
Dass Jäcklein Rohrbach dem Aufstand der deutschen Bauern damit einen Bärendienst erwiesen hatte, sollten die Rebellen bald zu spüren bekommen. Denn die Bauern verloren nach dem sogenannten
"Blut-Ostern von Weinsberg" jegliche Unterstützung in der Bevölkerung. Selbst Martin Luther, auf dessen Lehren sich die Rebellen letztlich beriefen, wetterte gegen ihr Treiben. Diese nun gegen
die Bauern vorherrschende Stimmung nutzten die Fürsten, um mit der selben Grausamkeit, jedoch mit wesentlich mehr militärischer Erfahrung, besseren Waffen und geübten Soldaten, sogenannten
Landsknechten, zurück zu schlagen. Das Ergebnis kann man sich denken.
Zurück zu den Kaltentalern. Beziehungsweise einem unter ihnen, der ausnahmsweise Mal nicht mit Waffengewalt seine Brötchen verdiente. 1546 fand in Regensburg das sogenannte Regensburger
Religionsgespräch statt. Hier verhandelten Protestanten und Katholiken über ihre gemeinsame Zukunft im Heiligen Römischen Reich. Dr. Kaspar von Kaltental - seines Zeichens Bundesrichter und
Domkapitular zu Augsburg - nahm als katholischer Auditor an den letztlich leider ergebnislosen Gesprächen teil. Im Nachhinein betrachtet waren sie eh nur ein Ablenkungsmanövers des Kaisers um
seine Kriegsvorbereitungen zu verschleiern. Martin Luther starb vor Ende der Gespräche und kurz darauf begann der Schmalkaldische Krieg - eine Auseinandersetzung der vom Kaiser geführten
Katholiken gegen den sogannten Schmalkaldischen Bund der protestantischen Fürstentümer unter Führung von Sachsen und Hessen.
Sicher kämpften auch im Schmalkaldischen Krieg Kaltentaler. Bekannt wurde hier aber vor allem ein Schwager der Familie, der mit Agatha von Kaltental verheiratete Wolf Phillip von Hirnheim, seines Zeichens Marschall von Württemberg. Er führte die auf protestantischer Seite kämpfenden Truppen Württembergs und kommandierte persönlich die württembergische Kavallerie. Der katholische Kaiser entzog ihm zur Strafe dafür alle seine Güter, darunter Burg Stettenfels bei Heilbronn. Wolf Phillip erlebte das Ende des Krieges nicht mehr. Bestattet wurde der heimatlos gewordene Marschall in der Grablege der Kaltentaler: Der Aldinger Margaretenkirche.
Die Protestanten unterlagen schließlich und man begann in Augsburg mit ernsthaften
Religionsgesprächen. Der Augsburger Religionsfrieden sollte für die Ewigkeit sein. War er aber nicht. Etwa 70 Jahre nach dem Schmalkaldischen Krieg kam es zum Dreißigjährigen Krieg - dem
vielleicht verheerendsten Krieg auf deutschem Boden, selbst wenn man die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts einbezieht. Auch Aldingen wurde in diesem Krieg verwüstet. Verhindern konnten das
die Kaltentaler offensichtlich nicht.
Auch Georg Friedrich von Kaltental, den wir bereits durch sein Aufeinandertreffen mit der Waise Adiz kennengelernt haben, war wohl
jemand, der sein ritterliches Erbe ernst nahm - vielleicht zu ernst: Er war vor allen Dingen Soldat. Als Rittmeister kämpfte er im Großen Türkenkrieg, als Obrist eines Dragoner-Regiments zuletzt
im Pfälzischen Erbfolgekrieg. Im Kampf nahe Bühl-Weitenung fiel der ruhmreiche Kaltentaler mit zwei Pistolenschüssen in der Brust und von toten Feinden umringt, so heißt es. Offenbar hatte er bis
zuletzt gekämpft wie ein... nun ja... eben wie ein Kaltentaler zu Aldingen.
Allerdings hätte er Mal besser seine Heimat verteidigt. Wie schon im Dreißigjährigen Krieg wurde auch im Pfälzischen Erbfolgekrieg Aldingen geplündert. Unter anderem gingen die originalen Glocken
der Margaretenkirche verloren.
Auch Kreuzritter findet man unter den Kaltentalern, im Mittelalter wie auch in der Neuzeit. So etwa Walter von Kaltental, der im 14. Jahrhundert Landkomtur der Ballei Lothringen des Deutschen
Ordens war - also durchaus ein hohes Tier unter den Deutschrittern. Er residierte auf der heute noch sehr sehenswerten Kapfenburg bei Lauchheim unweit von Aalen. Oder Philipp Jakob von Kaltental,
der Enkel des streitlustigen Katholiken Philipp Wolf, welcher dem oben genannten Heinrich von Kaltental das Leben schwer machte. Phillip Jakob war wie auch sein Urahn Walter ein Deutschritter.
Wir schreiben allerdings nun das 17. Jahrhundert und die Zeit der Ritter und Kreuzzüge war längst vorbei. Phillip Jakob machte sich dennoch einen Namen - weniger als Kriegsheld denn vielmehr als
ein Freund schöner Architektur: Er gilt als Bauherr der beeindruckenden Wallfahrtskirche "Maria Birnbaum" im bayerischen Sielenbach. Phillip Dipold, der ältere Bruder Phillip Jakobs, war zur
selben Zeit übrigens ein Malteserritter.
Nur Männer? Nun ja, ihren größten Glanz verbreiteten die Kaltentaler zweifellos zu Zeiten als Chroniken sich bei Frauen leider hauptsächlich dafür interessierten, wen sie geheiratet haben und wer
ihre Kinder waren. Doch auch das mag in einigen Fällen interessant sein. Zumindest bei Margarete Ernestine Christine von Kaltental. Oder war es Christine Margarete Ernestine? Die mir zur
Verfügung stehenden Quellen tauschen die Reihenfolge ihrer Vornamen munter aus. Auch bei ihrem Ehemann wird es nicht übersichtlicher: Karl Wilhelm Ludwig Friedrich Freiherr von Drais von
Sauerbronn. Und ihr Sohn? Karl Friedrich Christian Ludwig Freiherr von Drais von Sauerbronn! Besser bekannt als Karl von Drais - DER Freiherr von Drais, der 1817 mit dem Laufrad den Vorgänger des
modernen Fahrrads entwickelte. Man nennt ihn auch den "Vater des Fahrrads". Was die gute Kaltentalerin zweifellos zur "Oma des Fahrrads" machte. Muss man auch mal lobend erwähnen, denn was sind
Söhne schon ohne ihre Mütter?
Stolz waren die Kaltentaler also zweifellos und tapfer aber auch stur. Doch man unterstellte ihnen auch eine gewisse Skepsis. "Der von Kaltental glaubt das nicht", war ein in früheren Zeiten im
Stuttgarter Stadtteil Kaltental verbreiteter Spruch. Jener Stuttgarter Stadtteil war wie oben erwähnt die ursprüngliche Heimat der Kaltentaler. Der zweifelnde Spruch geht aber auf eine Aktennotiz
von Herzog Eberhard im Bart zurück und bezog sich auf einen seiner Ratgeber, der eben aus der Familie der Kaltentaler stammte. Wahrscheinlich war es eher der diplomatische Versuch des Herzogs
seine eigenen Zweifel zum Ausdruck zu bringen, indem er sie einem seiner Ratgeber in den Mund legte... dennoch wurde der Unglauben der Kaltentaler damit sprichwörtlich.
Georg (gerne als Jörg abgekürzt), Phillip, Jakob und das meist zu Wolf verkürzte Wolfgang .... sowie beliebige Kombinationen daraus: Die Kreativität bei der Namensgebung der Kaltentaler hatte
durchaus ihre engen Grenzen. Auch der Letzte der Kaltentaler zu Aldingen machte da keine Ausnahme: Georg Wolf von Kaltental.
Auch er war ein wahrer Kämpfer - doch anders als bei so vielen seiner Vorfahren fand sein Kampf nicht auf dem Schlachtfeld statt. Er war kein Soldat, er liebte den Frieden und sein Tod war ebenso
friedlich im Bett nach langjähriger Krankheit. Eines der zentralen Motive der Deckengemälde, die er in seinem Aldinger Schloss hatte anfertigen lassen war die Friedensgöttin Pax. Und doch muss er
eine Kämpfernatur besessen haben, die selbst unter den Kaltentalern ihresgleichen suchte. Er war Direktor des Ritterkantons Kocher und als solcher einer der führenden Personen innerhalb der
schwäbischen Reichsritterschaft. Die wiederum im 18. Jahrhundert unter arge Bedrängnis geriet, da die Fürsten - allen voran das aufstrebende Württemberg - bestrebt waren die anachronistischen,
kleinen aber reichsfreien - also von jedem Fürsten unabhängigen - Rittergüter ihren Fürstentümern einzuverleiben. Endgültig gelang es ihnen erst mit der durch Napoleon befeuerten Mediatisierung
in den Jahren 1804/5. Dennoch kann man nicht sagen, dass sich das Rittertum während des 18. Jahrhunderts in einer Blütephase befunden hatte. Im Gegenteil: Ihren militärischen Wert hatten die
Ritter schon vor Jahrhunderten verloren und wenn sie keine Untertanen der Fürsten waren, hatten sie aus deren Sicht eben überhaupt keinen Wert. Georg Wolf war also ein Vertreter eines seit langer
Zeit sterbenden Standes. Sein Kampf war dabei eben gerade nicht der eines Soldaten. Er fand vielmehr vor den Gerichtshöfen seiner Zeit statt. Seine Taten können dabei als ein letztes Aufbäumen
verstanden werden, ein Versuch dem Absinken in die historische Bedeutungslosigkeit entgegenzutreten. Und er trat ihr entgegen mit dem Mut all seiner Ahnen - doch ohne die Sturheit, die manchem
seiner Vorfahren nachgesagt wurde. Mit seinem "Erzfeind" Herzog Carl Alexander von Württemberg scheint ihn sogar eine Freundschaft verbunden zu haben. Der Herzog ernannte den Ritterdirektor sogar
zum Obervogt von Kirchheim unter Teck, Nürtingen und weiteren Orten im heutigen Landkreis Esslingen.
Georg Wolf war auch sonst in seinem Kampf keineswegs erfolglos: Aldingen blieb unter seiner Ägide reichsfrei - allerdings auch nur bis zum Tag seines Todes. Der damals amtierende Herzog Carl
Eugen nutzte die Chance, dass Georg Wolf keine Kinder und damit keine direkten Erben hatte. Württemberg schluckte das winzige Aldingen und obwohl die Vettern Georg Wolfs dagegen klagten - es
blieb dabei. Nach fast 500 Jahren kaltentalischer Herrschaft war Aldingen nun württembergisch geworden.
Nach Georg Wolfs Tod gab es die Kaltentaler zwar noch, doch Ritter waren sie nun nur noch auf dem Papier. Aus Aldinger Sicht war er damit tatsächlich der letzte der Kaltentaler. Und so starb mit
Georg Wolf von Kaltental eine Ära.
Und doch hat man in Aldingen "seine" Kaltentaler nicht vergessen - sei es, dass in der Margaretenkirche ihre Grabdenkmäler an deren stolzesten Tage erinnern. Sei es, dass eine Inschrift über dem
Eingang von Schloss Aldingen uns daran gemahnt, Heinrich von Kaltental habe "Das haus Von Grund Uff anheben Zu bauen". Sei es, dass vor einigen Jahren mit dem "Kalten-Taler" Münzen im Umlauf
waren, die als Gutscheine im Wert von 5€ konzipiert waren und man in vielen Remsecker Geschäften einlösen konnte. Oder sei es, dass mit Peter Lenks Statue der ach so ruhmreiche Dragoner Georg
Friedrich von Kaltental Seite an Seite mit der Weise Adiz noch heute über seine Aldinger wacht.
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